Duft- und Gaumenorgie nach 50 Jahren: 1959 Sauternes

Gabriel_profil_icon Von Rene GabrielPremium_small, am 28. Mai 2009 12:03

Wer auf einer öffentlichen Auktion einen grossen, reifen Sauternes ersteigern will, muss in der Regel gegen den angefressenen Süssweinfreak Jürg Richter antreten. Denn dieser bekannte «Sauternes-Hunter» kauft alles, was gross und reif ist. Und wenn er wieder ein grosses Thema an Lager hat, dann informiert er seine Freunde und schreibt Tastings der besonderen Art aus. Meist auf seiner eigenen Webseite die sinnigerweise: www.sauternes.ch heisst!So geschehen im Mai im Restaurant Lindenhofkeller. Mehr als zwei Dutzend Sauternes 1959 standen zur Blindprobe an. Von einfachen Händlerfüllungen, zu unbekannten, heute nicht mehr existierenden Weingütern, bis hin zur Elite der namhaften Barsac- und Sauternes-Crus. Und um die Gäste in der Blindprobe zu testen, war der honorige und entsprechend teure Château Yquem 1959 gleich zwei Mal auf dem Trapez.

Im Jahr als der ellenlange Film Ben Hur im Kino für Furore sorgte und für die Daheimgebliebenen erstmals die Serie Bonanza in den Röhrenkästen flimmerte und Fidel Castro in Kuba ans Ruder gelangte, wuchs im «süssen Süden» des Bordelais ein ganz besonderer Jahrgang heran. Eine frühe, volle Traubenreife in Kombination mit dem berühmten Ciron-Nebel begünstigte die Edelfäulnis in einem sehr seltenen Ausmass. Anstatt mühsam einzelne, vom Botrytis befallene Trauben in vielen Erntedurchgängen raus zu picken, konnten die Weinbauern in drei Durchgängen ganze Trauben picken. Und schon bald schlummerten viele grosse Sauternesweine nach der Gärung weiter in den Betontanks. Barriquen für den Reifeprozess im Keller waren eher selten und jenen Gütern vorbehalten, die die höheren Preise erzielten. Doch auch hier waren Bestellungen für viele, neue Fässer bei den Küfern eher eine Seltenheit. Nach 50 Jahren Reife scheint dieses «Manko» (im Vergleich zu heutigem Ausbauprozedere) überhaupt kein Handicap zu sein. Die Probe zeigte, dass die Qualitätsmöglichkeiten eindeutig bei den bekannteren Châteaus lag und die einfacheren Süssweine längst hätten ausgetrunken werden sollen. Erstaunlicherweise konnten ein paar Weingüter mit einer gleich hohen Bewertung von 19/20 mit dem teuersten Château d'Yquem mithalten. So Doisy-Védrines, Rieussec, de Rayne-Vigneau, La Tour Blanche, Gilette Crème de Tête und der sonst permanent enttäuschende Filhot. Und als Zugabe servierte der Organisator Jürg Richter eine weitere Rarität als honorigen Apéro; den trockenen «Y» von Château d'Yquem. Hier Benotungen in der Reihenfolge wie wir die Weine degustierten. Die ausführlichen Beschreibungen folgen im WeinWisser...

1959 Y de Yquem: 17/20 vorbei
1959 Doisy-Védrines: 19/20 trinken
1959 d'Arche: 18/20 trinken
1959 La Tour-Blanche: 19/20 trinken
1959 Coutet: 16/20 austrinken
1959 Rieussec: 19/20 trinken
1959 Grillon: 16/20 austrinken
1959 Gilette Crême de Tête: 19/20 trinken
1959 de Rayne Vigneau: 19/20 trinken
1959 Guiraud: 16/20 vorbei
1959 Sigalas-Rabaud: 17/20 austrinken
1959 Bastor-Lamontagne: 15/20 vorbei
1959 Doisy-Daene: 17/20 trinken
1959 Climens: 17/20 trinken
1959 Piada: 18/20 trinken
1959 Lafaurie-Peyraguey: 16/20 trinken
1959 Suduiraut: 18/20 trinken
1959 Filhot: 19/20 trinken
1995 Caillou Crème de Tête: 16/20 austrinken
1959 d'Yquem: 19/20 trinken

Kleines P.S. am Rande. Auch wenn es sich manchmal so liest, dass ich die schönsten Weine der Welt gleich literweise hemmungslos trinken darf, so gibt es doch für mich grundsätzlich frappante Unterschiede zwischen Plausch und Arbeit.
Da ich mit dem Auto in Zürich geschäftlich unterwegs war, spuckte ich brav an dieser einmaligen Verkostung. Man muss nämlich nicht den Magen liquid füllen um tolle Weine richtig zu erleben.
Auge, Nase und Gaumen (ob spucken oder schlucken) genügen vollends um die Grösse eines Weines zu erkennen und auch zu erleben. Als ich zu Hause angelagt war, prüfte ich meinen Promillegehalt mittels professionellem Lion-Alcotester. Resultat: 0.0 Promille!

 


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